Jan Christian Pohl

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Thomas Röske

„Es ist wie Atmen, ein natürlicher Zustand“– neue Bilder von Jan Christian Pohl

Neubeginn
Vor zwei Jahren kam es in der Malerei von Jan Christian Pohl zu einem Umbruch. Der Künstler verlor das Interesse an der erzählenden gegenständlichen Darstellung, die ihn bis dahin durchgehend beschäftigt hatte. Diese Art von Bildern war „zu Ende gemalt“, wie er selbst sagt. Und er wandte sich, nachdem er schon seit 2010 stärker abstrakte und ungegenständliche Momente in seine Malerei einbezogen hatte, konsequent experimentellen Bildgestaltungen zu. Damit einher ging ein Wechsel vom Querformat des Malgrundes zum Hochformat, was sich als Hinwendung zum Moment- oder Ausschnitthaften interpretieren lässt, aber auch auf den Wunsch zu deuten scheint, die Bilder mehr als vorher als Gegenüber der eigenen aufrechten physischen Präsenz zu begreifen. „Die neuen Werke sind nah an mir dran“, sagt Pohl selbst.
„Kleine experimentelle Bilder und Bildobjekte“

Die Neuerungen zeigten sich in zwei Werkgruppen, die für Pohl unterschiedlichen Status haben. Schon früher hatte er kleine Bilder im Format 18 x 24 cm zwischen der Arbeit an großen Leinwänden produziert, zur „Erholung“ und zum Durchspielen bestimmter Bild- und Kompositionsideen. Nun drehte er die Ausrichtung dieser handelsüblichen Leinwände um und nutzte sie zu einer radikaleren Erkundung seiner Gestaltungsmittel. Nicht nur trägt der Maler seitdem Farbe entweder monochrom flächendeckend oder in bloßen Flecken auf, er integriert auch Atelierschmutz oder befestigt kleine Fundstücke auf den Bildflächen, zerschneidet den Malgrund, bemalt die Plastikverpackung der Leinwände etc. Das Ergebnis sind oftmals nicht mehr nur Bilder, sondern komplexe Bildobjekte.

Mit der experimentellen Arbeitsweise reagiert Pohl direkt auf Material und Farbe, die er nach momentanen Impulsen auswählt. Oft ist er mit mehreren Werken gleichzeitig beschäftigt. Sein Vorgehen versteht er als Notieren von Einfällen, von malerischen Bemerkungen, von bildnerischen Aperçus – ohne alle Gedankenschwere allerdings. So gibt es denn bei diesen kleinen Bildern auch kaum Vorplanung. Vielmehr akzeptiert oder lenkt Pohl oftmals Zufälle und produktive Unfälle. Es geht ihm um Begegnungen mit abstrakten und materialen „Ereignissen“. Ob ein „Ziel“ erreicht wird oder nicht, ist ihm gleichgültig. Weggeworfen wird nichts. Denn aus Erfahrung weiß der Künstler, dass sich das Blatt wieder wenden kann, dass spätere, frische Blicke immer wieder neue Qualitäten wahrnehmen.
So denkt Pohl bei den kleinformatigen Werken denn auch nicht zuerst an ein Ausstellen. Er ist mehr daran interessiert zu sehen, ob ihn die Ergebnisse seines Einlassens auf Material und Farbe selbst weiterbringen, sein künstlerisches Vokabular erweiterten. Sie sollen ihn herausfordern, überraschen. Dieses Moment hat ihm bei seiner früheren Malerei gefehlt, die geplanter war. Bei Figurenbildern wurde ihm vieles „wichtig“ und machte dadurch das Arbeiten schwerfällig. So fühlte er sich zum Beispiel gedrängt, die „Richtigkeit“ der Wiedergabe von Menschen und Dingen im Auge zu behalten, auch wenn er davon abwich. Das konnte im Extremfall dazu führen, dass ein Bild im Ergebnis stimmig wurde, Pohl aber nicht wirklich gefiel. Als Reaktion darauf sucht er in seinen neuen Bildern nach einer Unmittelbarkeit.
„Größere Bilder und Bild-Duos“
Bald entstand der Wunsch, diese Erfahrungen und Errungenschaften auf größere Malgründe zu übertragen. Hier wählte Pohl ein Format, das ihm, wie er sagt, „sympathisch“ war, 1,35 x 1,15 cm. Zunächst schien es ihm unentschieden in der Wirkung. Es ist jedoch eine Fläche, die der Maler noch gut bewältigen kann, die also seinen Handlungsmöglichkeiten bei aufrechtem Stehen davor entspricht und zugleich leicht mit einem Blick zu erfassen ist. Das unterscheidet sie von einer früheren Serie von Hochformaten, die Pohl 2010 bearbeitet hatte. Diese Bilder von 1,90 x 1,60 cm waren immer noch narrativ angelegt und befriedigten ihn auf Dauer nicht, so dass er das Format wieder auf die Seite legte.
Bald erkannte Pohl aber auch einen anderen Vorzug des neuen Formats: seine Eignung für Paarbildungen. Schon 2001 entdeckte er den Reiz darin, gleich große Formate trotz ganz individueller malerischer Gestaltung zu Reihen und Blöcken zusammenzustellen (der Künstler selbst spricht von „Bildmodulen“). Bei den neuen Bildern stellte er nun fest, dass sich jeweils zwei davon gut kombinieren lassen, zur gegenseitigen Befruchtung, in der Art eines kommunizierenden Diptychons. Letztlich läuft es bei dieser Werkgruppe also doch wieder auf Breitformate hinaus. Das Zusammenstellen der Bild-Duos ist aber ein zweiter Schritt. Pohl malt auch hier an mehreren Bildern gleichzeitig, ohne allerdings Zweierkonstellationen schon vorzuplanen.

Wie bei den kleinen Bildern bemalt Pohl bei den Großformaten ab und zu den Rand der Leinwände. Hier geht es ihm aber darum, mit dem Abstrahlen der leuchtenden Farben (Gelb oder Gelbgrün) auf die Wand eine rahmende Wirkung zu erzeugen, eine Art Farb-Aura. Pohl denkt bei diesen Werken nicht an Objekte, sondern nur an Bilder. Zudem vermeidet er im Malen einen illusionistischen Bildraum. Er zielt auf ein reines Flächenereignis: Die Bilder zeigen, was sie sind. „Ich denke zweidimensional“, bekennt der Künstler.
Als Bildträger verwendet Pohl Leinwand und Seidenstoff. Gelegentlich präsentiert er auch ein bemaltes Seidentuch locker auf Leinwand. Neben Acryl-, Öl- und Sprayfarbe setzt er wie früher schon Transferdruck ein, bei dem fotografische Aufnahmen wie bei einer Monotypie auf einen glatten Bildträger kopiert und dann von diesem abgeklatscht werden. Teilweise kommen zudem verschiebbare Magnete oder andere Materialien zum Einsatz. Schon wegen ihrer Ausdehnung tendieren die größeren Bilder stärker als die kleinen zum Erzählerischen, das nun aber erweitert ist, abstrakter und stärker an den Maler gebunden.
Wie früher folgt Pohl dabei teilweise Skizzen, die er in Notizbüchern notiert. Aber er denkt schon im Vorfeld anders über diese Bilder nach. Manche sind sogar detaillierter konzipiert als die älteren gegenständlichen Werke. Trotzdem sind sie weniger festgelegt, können sich im Arbeitsprozess spontan noch stärker verändern. Das Vorgehen erscheint dem Maler dabei nicht so anstrengend wie früher, da es sich nun um eine freie Mischung von Kalkül, Zufall und spontanem Reagieren auf Grundlage seiner langjährigen malerischen Erfahrung handelt. Es ist ein freies Spiel, bei dem Pohl wechselweise sowohl chaotische Tendenzen als auch das Bedürfnis nach Ordnung zulassen kann.
Die Titel gibt er seinen Bildern stets nachträglich. Oft lenken sie die Wahrnehmung noch einmal in eine andere Richtung. Damit zeugen auch sie von der Lust des Künstlers an der Kombinatorik. „Nazca“ etwa lässt uns plötzlich nicht mehr nur geritzte Linien und einen Dosenabdruck auf monochromer Farboberfläche sehen, sondern eine Anspielung auf jene riesigen Scharrbilder aus vorchristlicher Zeit in der Wüste nahe der Küste Perus, die nur aus großer Höhe oder Entfernung zu erkennen sind.

„Watching Musik“ macht aus der Akzentuierung einer schwarzen Fläche durch den Abdruck einer runden Rakelbewegung und zufällig verteilte Farbsplitter eine Art Partitur, so dass der Betrachter einen Höreindruck imaginiert. „Drei Grad über Gold“ assoziiert das fleckige Hinstreichen und Sprayen einzelner Farben auf violettem Grund mit einem meteorologischen Phänomen. Und „Smile“ deutet den locker vor ein ungleich deckendes Schwarz gehängten regenbogenfarbigen Faden als etwas Physiognomisches.
Pohls neue Grundhaltung zum Malen hat geradezu einen Schaffensrausch ausgelöst. Die Arbeit fällt ihm leichter als früher. Manchmal ist es auch bei den gegenständlichen Werken schon ähnlich gewesen, aber jetzt fühle es sich auf andere Weise richtig an. „Es ist, wie wenn man einen Pfeil abschießt.“ Der Impuls für die Arbeit kommt von innen, der Maler muss ihn nicht fabrizieren. „Es ist wie Atmen, ein natürlicher Zustand“. Dabei bleibt Pohl allerdings nicht stehen. Die neue Selbstverständlichkeit des Arbeitens ermöglicht auch neuen Mut, etwas zu riskieren. Die volle Freude am Schaffen kommt erst, wenn auch etwas schief gehen kann.
Kontrolliert werden die Prozesse von der Suche Pohls nach Einfachheit, Leichtigkeit und Heiterkeit. Die Bilder sollen ihn selbst und den Betrachter nicht zu lange beschäftigen. Auch wenn der Maler zum Teil wieder und wieder an einem Bild arbeitet, darf es Aufwand und Mühe nicht verraten. Das glückt nicht immer. Aber auch von seinen großformatigen Werken gibt Pohl keines wirklich auf. Ein späteres Überarbeiten kann immer noch die gewünschte Wirkung bringen
Ästhetisch pendeln die Bilder zwischen einer ornamentalen Bestätigung des rechteckigen Gestaltungsgrundes und einem Aufbegehren dagegen. Pohl legt sich hier nicht fest. Denn obgleich die größeren Bilder entschiedenere Statements sind als die kleinen und auf Ausstellung berechnet, geht es dem Maler auch hier um das Ausweiten des Spektrums seiner Möglichkeiten.
Im Geiste steht er immer wieder neben sich und fragt sich, gewissermaßen anstelle des unvorbereiteten Betrachters, wie er wohl das gerade Erarbeitete zum ersten Mal sehen würde. Dabei meint er keineswegs, etwas Neues schaffen zu können. Ein bewusstes, aber spielerisches Zwiegespräch mit bekannteren Kollegen gehört sogar zu seinem Spaß am Malprozess dazu. Es fühlt sich also nicht zufällig der kunsthistorisch bewanderte Betrachter bei Schnitten in die Leinwand an Lucio Fontana erinnert, bei gewissen Farbspritzern an Jackson Pollock, bei leuchtenden Tintenflecken an Sam Francis oder beim Einsatz von Transferdrucken an Sigmar Polke. Anders als andere Künstler, die solche Anklänge tunlichst zu vermeiden suchen, setzt Jan Christian Pohl sie augenzwinkernd ein – auch das gehört zu seiner neuen, souveränen Leichtigkeit in der Malerei.


Der Kunsthistoriker Thomas Röske leitet seit 2002 die Sammlung Prinzhorn am Universitätsklinikum Heidelberg